VEE-Jahrestagung 2024 im Kraftwerk Leipzig-Süd: „Ein sicheres Signal, dass die Disruption jetzt beginnt“

11. Dezember 2024
Wie lässt sich die Akzeptanz für Erneuerbare steigern – und welche Rolle spielt Klimagerechtigkeit?
Prof. Dr. Tilman Santarius auf der VEE-Jahrestagung 2024

Wie lässt sich die Akzeptanz für Erneuerbare steigern – und welche Rolle spielt Klimagerechtigkeit? Im neu errichteten Gas-Heizkraftwerk Leipzig-Süd diskutierten rund 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmer der VEE-Jahrestagung diese Fragen. Auch neue Perspektiven der Energiewirtschaft durch Wasserstoff waren Thema.

In seinem Grußwort erläuterte Karsten Rogall, Geschäftsführer der Stadtwerke Leipzig GmbH, die kommunale Wärmeplanung der Stadt Leipzig. Passenderweise, denn die Jahrestagung fand diesmal auf dem Gelände einem der modernsten Kraftwerke Deutschlands statt: dem 2023 eröffneten Gas-Heizkraftwerk Leipzig-Süd. Schon im 20. Jahrhundert war hier ein Kohlekraftwerk in Betrieb; die Tagung fand in der historischen Schalterhalle statt des alten Kraftwerks statt.

5,5 TWh jährlich benötigen die Stadtwerke derzeit an Wärmeenergie. „Dieser Bedarf wird bis 2038 konstant bleiben oder leicht sinken“, rechnet Rogall vor. „Aber der Strombedarf wird sich verdoppeln.“ Deswegen trieben die Stadtwerke den Ausbau Erneuerbarer Energien im Umland und benachbarten Bundesländern voran. Dabei standen vor allem zwei Fragen im Fokus: „Der Kunde muss es bezahlen können – und natürlich, ob wir die Versorgungssicherheit damit gewährleisten können.“

Das neue Kraftwerk entstand dabei in Rekordtempo: 2019 begannen die Planungen; seit Ende 2022 laufen dort Gasturbinen mit 163 MW thermischer Energie, deren Abwärme für Fernwärme genutzt wird. Zudem verfügt das Gelände über einen Batteriespeicher 3,5 MW bzw. 6 MWh, über die das Kraftwerk schwarzstartfähig ist. Eine Dach-Photovoltaikanlage sowie ein gewaltiger Wärmespeicher mit 1800 MWh komplettieren das Paket. „Wir unterschreiten sämtliche gesetzlichen Immissionsgrenzwerte“, erklärt Rogall. „Das Kraftwerk ist zu ganz wesentlichen Teilen Wasserstoff-fähig für eine Umstellung in den 2030er Jahren, der netto-Wirkungsgrad liegt heute über 93 Prozent.“ Gleichzeitig mahnte Karsten Rogall, die energiepolitischen Rahmenbedingungen bürgen große Unsicherheiten.

Und darauf ging im Anschluss Juliane Pfeil, Mitglied der SPD-Fraktion im Sächsischen Landtag, ein. Sie berichtete vom Koalitionsvertrag der neuen Minderheitsregierung aus CDU und SPD. Ihre wichtigste Kernaussage: „Das, was wir in den vergangenen fünf Jahren in der Energiepolitik aufgebaut haben, werden nicht wieder zurückdrehen. Wir schaffen Planungssicherheit für die Wirtschaft.“ Ein Baustein sei dabei unter anderem das Wasserstoff-Kern- und -Verteilnetz. „Die Unternehmen warten darauf.“ [-> zum Videomitschnitt]

Dr. Gerd Lippold, Staatssekretär für Energie, Klimaschutz, Umwelt und Landwirtschaft, betonte in seiner Keynote, dass die Energiewende ein „Generationenprojekt“ sei, das Gewinner und Verlierer hervorbringen werde. Die entscheidende Frage sei, wie die Transformation fair gestaltet werden könne. „Energie ist das Lebenselixier. Die Frage ist: Wer besitzt und betreibt die Energiesysteme?“, so Lippold.

Sachsen positioniere sich dabei inzwischen als Vorreiter: Mitte 2024 führte das Bundesland überraschend die Flächenländer beim Ausbau der erneuerbaren Energien an. Gleichzeitig warnte Lippold vor einem möglichen „Rollback“ und betonte, wie wichtig es sei, Akzeptanz für den Wandel zu schaffen. „Es braucht ein sicheres Signal, dass die Disruption jetzt beginnt – alte Geschäftsmodelle gehen baden,“ erklärte er. Förderprogramme in Milliardenhöhe seien ein Schlüssel zur Beschleunigung des Wandels, doch letztlich entscheide der gesellschaftliche Zusammenhalt über den Erfolg.

Prof. Dr. Dr. Felix Ekardt von der Forschungsstelle Nachhaltigkeit und Klimapolitik rückte die Freiheitskonflikte des Klimawandels in den Fokus. Die heutige Lebensweise gefährde nicht nur die Lebensgrundlagen zukünftiger Generationen, sondern führe auch zu einer doppelten Freiheitsgefährdung: durch die Auswirkungen des Klimawandels selbst und durch mögliche überstürzte politische Maßnahmen

Mit Blick auf die Klimaschutzgesetze forderte Ekardt ambitioniertere Ziele, denn: „Das CO2-Budget westlicher Industriestaaten ist längst aufgebraucht.“ Maßnahmen wie ein schneller Kohleausstieg seien nicht nur notwendig, sondern auch marktwirtschaftlich unausweichlich. Dennoch verursachten solche radikalen Schritte oft Unsicherheit und Widerstand in der Bevölkerung – ein Dilemma, das die Politik aktiv angehen müsse.

Den Abschluss machte Prof. Dr. Tilman Santarius, Geschäftsführer des Deutschen Klima-Konsortiums e.V. (DKK), mit einer Analyse der ungleichen Verursachung und Auswirkungen des Klimawandels. Die wohlhabendsten 10 Prozent der Weltbevölkerung verursachen fast die Hälfte der globalen Emissionen, während die ärmsten 50 Prozent kaum zum Problem beitragen. „Dennoch sind es häufig die ärmsten und verletzlichsten Bevölkerungsgruppen, die am stärksten unter den Folgen leiden“, resümierte er.

Santarius plädierte für eine Klimapolitik, die soziale Gerechtigkeit in den Mittelpunkt stellt. Maßnahmen wie das Klimageld, das Einnahmen aus der CO2-Bepreisung an Haushalte zurückgibt, könnten hier eine wichtige Rolle spielen. Allerdings sei die konkrete Ausgestaltung entscheidend: Sollten alle Bürger profitieren oder gezielt einkommensschwache Haushalte?

Passend zum Standort wurde die Jahrestagung abgerundet mit Vorträgen zu grünem Wasserstoff in der konkreten Anwendung – ein Thema, das die Energiebranche zukünftig stark beschäftigen wird. Prof. Dr. Alexander Michaelis, Institutsleiter am Fraunhofer IKTS und Professor für Anorganisch Nichtmetallische Werkstoffe an der TU Dresden, sprach zu Hochtemperaturelektrolyse, die als effizienteste Technologie zur Erzeugung von grünem Wasserstoff, grünem Synthesegas und e-fuels gilt. Anschließend erläuterte Dipl.-Ing. Falk Rosenlöcher von der DEKRA Automobil GmbH die Sicherheitsfragen für Mitarbeiter und Infrastruktur bei Wasserstoff-Produktionsanlagen, Druckspeicher und HRS. Den Abschluss setzte Prof. Dr. Hartmut Krause vom DBI-Gastechnologischen Institut gGmbH Freiberg und Professor für gas- und wärmetechnische Anlagen an der TU Bergakademie Freiberg: Er stellte den Energiepark Bad Lauchstädt als eine der Bausteine für Infrastruktur für grünen Wasserstoff im Detail vor.

Die VEE-Jahrestagung zeigte: Die Energiewende ist nicht nur eine technische und wirtschaftliche Herausforderung, sondern auch eine soziale. „Der Weg in eine klimaneutrale Zukunft erfordert nicht nur technologische Innovationen, sondern auch politische Weitsicht und gesellschaftlichen Zusammenhalt“, fasst Falk Zeuner, Präsident der VEE, zusammen. „Nur wenn Akzeptanz und Gerechtigkeit im Mittelpunkt stehen, kann die Transformation gelingen.“