VEE-Stellungnahme zum 4. Gesetz zur Änderung der Sächsischen Bauordnung

Die VEE Sachsen e.V. hat im Rahmen der Verbändeanhörung zum 4. Gesetz zur Änderung der Sächsischen Bauordnung ein umfassende Stellungnahme zu Regelungen betreffend der Windenergieplanung abgegeben.

Die geplante Gesetzesänderung soll im Wesentlichen der Umsetzung von Vorgaben aus dem Koalitionsvertrag 2019 bis 2024 sowie von Beschlüssen der Bauministerkonferenz zur Änderung der Musterbauordnung in Landesrecht dienen. Die Sächsische Bauordnung soll zudem an aktuelle Bedingungen und Bedürfnisse angepasst und ein sicheres, kostengünstiges und zukunftsfähiges Bauen im Freistaat Sachsen weiter gefördert werden.

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VEE-Stellungnahme

4. Gesetz zur Änderung der Sächsischen Bauordnung - Verbändeanhörung

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

 

im Rahmen des laufenden Anhörungsverfahrens bedanken wir uns für die Beteiligung und machen von der Möglichkeit der Stellungnahme Gebrauch.

 

Im Interesse des Klimaschutzes und des Ausbaues der Erneuerbaren Energien in Sachsen – so insbesondere auch zur Einhaltung der Zielvorgaben der Sächsischen Landesregierung im Energie- und Klimaprogramm 2021 (EKP2021) – schlagen wir in Abweichung vom Referentenentwurf folgende Änderungen vor:

 

Ergänzung des § 6 Absatz 5 um einen Satz 5 mit folgendem Inhalt

 

§ 6 Abstandsflächen, Abstände

 

(1) … (4)

(5) Die Tiefe der Abstandsflächen beträgt 0,4 H, mindestens 3 m. In Gewerbe- und Industriegebieten genügt eine Tiefe von 0,2 H, mindestens 3 m. Vor den Außenwänden von Wohngebäuden der Gebäudeklassen 1 und 2 mit nicht mehr als drei oberirdischen Geschossen genügt als Tiefe der Abstandsfläche 3 m. Werden von einer städtebaulichen Satzung oder einer Satzung nach § 89 von den Sätzen 1 bis 3 abweichende Abstandsflächen vorgeschrieben, sind diese maßgeblich. Für Windenergieanlagen, die im Außenbereich errichtet werden, genügt eine Tiefe der Abstandsfläche, welche durch den Radius des Rotors zuzüglich 3 m bestimmt wird.

(6) … (8)

 

Wie bereits mehrfach dargelegt, haben wir erhebliche Zweifel, dass mit einer starren Ausschöpfung der 1.000 Meter-Regelung für die Windenergie die für den Klimaschutz notwendigen Ausbauziele erreicht werden können. Wir werden dies im Rahmen der Begründung nochmals aufzeigen und darlegen.

 

Soweit an einer starren Regelung des 1.000 Meter-Abstandes festgehalten wird, sollte zumindest eine Aufnahme wie folgt erfolgen:

 

Der § 84 wird wie folgt gefasst:

 

§ 84 Abweichungen von § 35 des Baugesetzbuches

 

(1) …

(2) § 35 Absatz 1 Nummer 5 des Baugesetzbuches findet auf Vorhaben, die der Erforschung, Entwicklung oder Nutzung der Windenergie dienen, nur Anwendung, wenn mindestens 1 000 Meter Abstand eingehalten werden von der Mitte des Mastfußes der Windenergieanlage zu

 

1. den nächstgelegenen Wohngebäuden in Gebieten mit Bebauungsplänen gemäß § 30 des Baugesetzbuches, sofern dort Wohngebäude nicht nur ausnahmsweise zulässig sind,

 

2. den nächstgelegenen Wohngebäuden innerhalb im Zusammenhang bebauter Ortsteile gemäß § 34 des Baugesetzbuches, sofern dort Wohngebäude nicht nur ausnahmsweise zulässig sind, oder

 

3. der nächstgelegenen Wohnbebauung im Außenbereich mit mindestens 6  Wohngebäuden in Verbindung mit einer Außenbereichssatzung nach § 35 Absatz 6 Bau GB.

 

4. Der nach Absatz 2 einzuhaltende Abstand vom Mastfuß der Windenergieanlage zu Wohngebäuden  reduziert sich auf mindestens 850 m, sofern eine Ausweisung von Flächen zur Nutzung für die Windenergie durch einen Bauleitplan erfolgt. Dies gilt auch, wenn es sich um das Repowering von Windenergieanlagen im Sinne des § 16 b BImSchG handelt.

 

5. Für in Kraft befindliche Regional- und Bauleitpläne, die eine Unterschreitung der Wohnbebauungsabstände nach 1., 2. und 3. vorsehen, gilt ein Investitions- und Bestandsschutz.

             

Es wird die Aufnahme einer Übergangsregelung dringend empfohlen:

 

Laufende Genehmigungsverfahren (beantragte Genehmigungsverfahren) sind von Neuregelungen zur 1.000-Meter-Abstandsregel nicht betroffen und genießen Verfahrensschutz.

 

 

Begründung

 

Teil A:

Begründung zur vorgeschlagenen Regelung der Abstandsfläche bei Windenergie

 

Angesichts des von Windenergieanlagen im Außenbereich überhaupt nicht tangierten Schutzzwecks des § 6 SächsBO plädieren wir für eine weitgehende Reduzierung der einzuhaltenden Abstandsflächen nach dieser Norm und schlagen vor, die Anwendung der Abstandsflächenvorschriften für Windenergievorhaben gänzlich aufzuheben bzw. § 6 SächsBO dahingehend zu ändern, dass Windenergieanlagen maximal einen Abstand zu Grenzen oder Gebäuden in Form einer Kreisfläche um den Mastmittelpunkt mit dem Radius „Rotorradius plus 3 Meter“ einhalten müssen (I.). Diese Novellierung würde die Verwirklichung von Windenergieprojekten deutlich erleichtern und insbesondere vermeiden, dass Windenergieanlagen wegen Nichteinhaltung der aktuellen Abstandsflächenregelung nicht genehmigt werden bzw. Betreiber auf die Unsicherheiten eines Antrags auf Zulassung einer Abweichung verwiesen werden. Somit ist eine Neuregelung auch hinsichtlich der Prinzipien der Rechtssicherheit und der Verfahrensbeschleunigung geboten.

 

Für den Fall, dass die vorgeschlagene Änderung der SächsBO nicht erfolgen sollte, sprechen wir uns zumindest für eine vereinheitlichende Regelung zur Zulassung der Abweichung von der Abstandsflächenpflicht aus, um jedenfalls die derzeitige Willkür im Rahmen der Anwendung der Abweichungsregelung zu vermeiden (II.).

 

Im Folgenden erläutern wir zunächst, weshalb Abstandsflächen bei Windenergieanlagen im Außenbereich grundsätzlich nicht notwendig sind:

 

I. Fehlende Notwendigkeit der Abstandsflächen bei Windenergieanlagen

 

Zuerst ist festzuhalten, dass die Einhaltung von Abstandsflächen gemäß § 6 SächsBO bei der Errichtung von Windenergieanlagen den Regelungszweck der Norm nicht tangiert. Daher ist eine Reduktion der Abstandsfläche Windenergieanlagen, wie oben vorgeschlagen, vorzunehmen.

 

1. Abstandsflächenregelung der SächsBO

 

Gemäß § 6 Abs. 1 S. 1, 2 SächsBO muss im Umkreis einer baulichen Anlage eine Abstandsfläche, frei von oberirdischer Bebauung, eingehalten werden. Diese Fläche beträgt grundsätzlich 0,4 H (H = Wandhöhe von der Geländeoberfläche aus). Bei Windenergieanlagen, die von der Geländeoberfläche bis zur Rotorspitze beispielsweise 200 Meter hoch sind, ergibt sich somit eine einzuhaltende Abstandsfläche von 80 Metern. In den meisten Fällen befinden sich Windenergieanlagen auf landwirtschaftlichen Flächen, die häufig schlauchförmig zugeschnitten sind. Oft ist darum eine Einhaltung dieser Abstandsflächen auf dem Grundstück, auf dem sich auch die Windenergieanlage befindet, nicht möglich. In diesem Fall ist der Projektierer einer WEA darauf verwiesen, rechtlich zu sichern, dass die nötige Fläche unbebaut bleibt, vgl. § 6 Abs. 2 S. 3 SächsBO. Das ist etwa möglich, indem der Nachbar eine Abstandsflächenbaulast übernimmt, vgl. § 83 Abs. 1 S. 1 SächsBO. Zur Mitwirkung können die Eigentümer der Nachbargrundstücke jedoch nicht gezwungen werden. Dem Projektierer verbleibt als einzige Möglichkeit, eine Abweichung von § 6 SächsBO zu beantragen.

 

2. Kein Tangieren des Schutzzwecks

 

Dabei bezweckt die Abstandsflächenvorschrift des § 6 SächBO den Brandschutz und die ausreichende Belichtung von Aufenthaltsräumen.

 

- OVG Bautzen, Beschl. v. 04.08.2014 (1 B 82/14), juris Rn. 11; vgl. bereits: OVG Bautzen, Urt. v. 28.03.2006 (1 B 335/04), juris Rn. 26 -

 

Diese Interessen berühren Windenergieanlagen im Außenbereich, oft inmitten von landwirtschaftlicher Nutzung aber fern von jeglicher Innenbereichsbebauung, von vornherein nicht.

 

Es besteht somit bereits keine Notwendigkeit für die Einhaltung von Abstandsflächen bei der Errichtung von Windenergieanlagen in bauordnungsrechtlicher Hinsicht.

 

3. Regelungsvorschlag

 

Daher wäre eine Regelung, für welche keine Abstandsflächen einzuhalten sind bzw. nach der die Abstandsfläche bei Windenergieanlagen der vom Rotor überstrichenen Bodenfläche zuzüglich drei Metern entspricht, völlig ausreichend. Die zweite von uns vorgeschlagene Variante würde dafür sorgen, dass der Rotor der Windenergieanlage die benachbarten Grundstücke nicht überstreicht.

 

Eine dahingehende Änderung der SächsBO wäre auch kein außergewöhnliches Novum im deutschen Bauordnungsrecht: Gemäß § 6 Abs. 1 S. 4 der Landesbauordnung Mecklenburg-Vorpommern sind bei Windenergieanlagen im Außenbereich gar keine Abstandsflächen einzuhalten:

 

„(1) Vor den Außenwänden von Gebäuden sind Abstandsflächen von oberirdischen Gebäuden freizuhalten. (2) Satz 1 gilt entsprechend für andere Anlagen, von denen Wirkungen wie von Gebäuden ausgehen, gegenüber Gebäuden und Grundstücksgrenzen. […] (4) Für Windenergieanlagen, die im Außenbereich errichtet werden, ist Absatz 1 Satz 2 nicht anzuwenden.“

 

- § 6 Abs. 1 Landesbauordnung Mecklenburg-Vorpommern -

 

Andere Landesbauordnungen sehen bei Windenergieanlagen zumindest deutlich geringere Abstandsflächen als in Sachsen vor. Nach hessischem Landesrecht muss die Abstandsfläche bei Windenergieanlagen im Außenbereich nur 0,2 H betragen (§ 6 Abs. 5 S. 1 Nr. 2 HBO), nach der saarländischen Bauordnung 0,25 H (§ 7 Abs. 8 LBO). In Baden-Württemberg wird auf die Wandhöhe H, nach der sich die Abstandsfläche bemisst, nur die Höhe der Windenergieanlage bis zur Rotorachse angerechnet (§ 5 Abs. 5 Nr. 3 BauO BW).

 

Die vorgeschlagene Regelung würde auch ausreichend in Rechnung stellen, dass eine tatsächliche Überbauung stattgefunden hat und das bauordnungsrechtliche Minimum von drei Metern einhalten, das sich in vielen Landesbauordnungen findet.

 

Einer entsprechenden Änderung des § 6 SächsBO steht somit nichts entgegen. Sie ist vielmehr erforderlich, um den Ausbau von Windenergieanlagen in Sachsen zu fördern. Letzterem wird nicht Genüge getan durch die Möglichkeit der Genehmigungsbehörde, eine Abweichung von der Abstandsflächenpflicht zuzulassen, da diese sich in der Praxis äußerst willkürlich darstellt:

 

II. Problem: Handhabung der Abweichungsregelung in Sachsen

 

Es ist voranzustellen, dass die sächsischen Verwaltungsbehörden die Abweichungsregelung höchst unterschiedlich anwenden. Teilweise scheitern Genehmigungsverfahren, nach langwierigem Streit über die Zulässigkeit der Abweichung, sogar an diesem Punkt. Umso wichtiger ist es also aus den Grundsätzen der Rechtssicherheit und der Verfahrensbeschleunigung eine Neuregelung nach oben erläutertem Vorschlag.

 

Für den Fall, dass eine Neuregelung nicht erfolgen sollte, bedarf es daher zumindest einer Vereinheitlichung der Möglichkeit zur Abweichung von der Abstandsflächenpflicht.

 

Aktuell ist die Zulässigkeit einer Abweichung folgendermaßen normiert:

 

1. Abweichungsregelung der SächsBO

 

§ 67 Abs. 1 S. 1 SächsBO bestimmt:

 

„Die Bauaufsichtsbehörde kann Abweichungen von Anforderungen dieses Gesetzes und aufgrund dieses Gesetzes erlassener Vorschriften zulassen, wenn sie unter Berücksichtigung des Zwecks der jeweiligen Anforderung und unter Würdigung der öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Belange mit den öffentlichen Belangen, insbesondere den Anforderungen des § 3 Satz 1 vereinbar sind.“

 

Es ist offenkundig, dass die Zwecke des § 6 SächsBO in Gestalt des Brandschutzes und der Belichtung gegenüber anderen baulichen Anlagen bzw. Wohnnutzungen dann nicht betroffen sind, wenn die geplante Windenergieanlage von landwirtschaftlichen oder teilweise bewaldeten Flächen umgeben und im Außenbereich gelegen ist. Besondere öffentlich-rechtlich geschützte nachbarliche Interessen, vgl. § 3 Abs. 1 SächsBO, wie Leben, Gesundheit oder natürliche Lebensgrundlagen der betroffenen Flurstücksnachbarn der geplanten Windenergieanlage werden im Falle einer Abweichung von den Abstandsflächen in diesem Fall offenkundig ebenfalls nicht betroffen. Eine Abweichung von den Abstandsflächenvorschriften ändert nichts an der Möglichkeit der landwirtschaftlichen bzw. forstwirtschaftlichen Nutzung der betroffenen Grundstücke. Schließlich streitet das öffentliche Interesse an der Realisierung von Windenergievorhaben als Beitrag zur Förderung der Erneuerbaren Energien geradezu für die Zulassung von Abweichungen.

 

Zusätzlich bedarf es für eine Abweichung von der Abstandsflächenvorschrift des § 6 SächsBO der ungeschriebenen Voraussetzung, dass eine atypische Fallgestaltung vorliegt.

 

- vgl. OVG Bautzen, Beschl. v. 16.06.2015 (1 A 556/14) -

 

Gerade dieser Punkt bietet aber Anlass zu Unsicherheit:

 

Nach einer Grundsatzentscheidung des VGH München kommt Windenergieanlagen aufgrund ihrer Beschaffenheit mit Blick auf Abstandsflächen eine generelle Atypik zu:

 

„Vorliegend besteht die atypische Fallgestaltung zum Einen in der Eigenart der Windkraftanlage, die in verschiedener Hinsicht keine typische bauliche Anlage ist, wie sie das Abstandsflächenrecht vor Augen hat. Sie ist im Verhältnis zu ihrer Gesamthöhe ausgesprochen schmal und verjüngt sich sowohl in Bezug auf den Turm als auch in Bezug auf die Rotorblätter. Hinzu kommt, dass es sich bezogen auf den Rotor nicht um eine statische Anlage handelt, weil dieser sich entsprechend der Windrichtung dreht. Soweit die vom Rotor bestrichene Fläche nicht mit ihrer Breitseite zum Betrachter steht, entfaltet sie hinsichtlich ihrer höchsten Punkte die oben beschriebene Wirkung wie von einem Gebäude dem Nachbarn gegenüber nicht. Ein weiterer Umstand vermag die Annahme einer atypischen Fallgestaltung zu stützen: Es gibt kaum Grundstücke, die von Größe und Zuschnitt her die Einhaltung der eigentlich gebotenen Abstandsflächen von ein H für die im Außenbereich privilegierten Windkraftanlagen von heute üblichem Standard wie der streitgegenständlichen Anlage ermöglichen. Es mag zwar systematisch unbefriedigend erscheinen, in einem ersten Schritt gesetzliche Anforderungen bezüglich einer Gruppe von Anlagen für anwendbar zu erklären, um dann in einem zweiten Schritt regelmäßig eine atypische, eine Abweichung rechtfertigende Fallgestaltung zu bejahen. Doch muss hier davon ausgegangen werden, dass dies den Zielsetzungen des Gesetzgebers am besten entspricht. Der Gesetzgeber hat bei einem Anlagentyp eigener Art gleichsam am Rande des Anwendungsbereichs des Art. 6 BayBO auf Spezialregelungen in der Erwartung verzichtet, dass mit Hilfe des Rechtsinstituts der Abweichung angemessene Lösungen erzielt werden können. Er hat nicht wie andere Bundesländer eigenständige Regelungen für die Abstandsflächen von Windkraftanlagen geschaffen.“

 

- VGH München, Urt. v. 28.07.2009 (22 BV 08.3427), juris Rn. 30 -

 

Diese ergebe sich unabhängig von der Grundstücksgröße aus der Eigenart der Windenergieanlage als Bauwerk.

 

- VGH München, Beschl. v. 19.08.2014 (22 CS 14.1597), juris Rn. 17 -

 

Das OVG Bautzen hingegen stellt beim Merkmal der Atypik vor allem auf Grundstückszuschnitte ab:

 

„Die Annahme einer atypischen Fallgestaltung kommt in Betracht, wenn eine atypische Grundstückssituation vorliegt, die von dem Normalfall, welcher der gesetzlichen Regelung der Abstandsflächen zugrunde liegt, in so deutlichem Maße abweicht, dass die strikte Anwendung des Gesetzes zu Ergebnissen führt, die der Zielrichtung der Norm nicht entsprechen (OVG NRW, Beschl. v. 29. Mai 2008 - 10 B 616/08 -, juris).Dies kann der Fall sein bei dicht bebauten innenstädtischen Bereichen mit ungünstigen Grundstückszuschnitten (BayVGH, Urt. v. 22. Dezember 2011 - 2 B 11. 2231 -, juris).“

 

- OVG Bautzen, Beschl. v. 14.05.2013 (1 B 369/12), juris Rn. 7 -

 

Eine Einordnung von Windenergieanlagen in landwirtschaftlicher Umgebung in diese Problematik findet sich in der sächsischen oberverwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung jedoch nicht.

 

Das bewirkt eine Rechtsunsicherheit bei den sächsischen Genehmigungsbehörden und führt zu einer höchst uneinheitlichen Verwaltungspraxis: Erfahrungswerte zeigen, dass die Landkreise Zwickau und Bautzen regelmäßig Abweichungen zulassen, während die Erwirkung einer Abweichungszulassung in den Landkreisen Erzgebirgskreis und Meißen schwierig ist. Der Landkreis Bautzen lehnt Einzelfallprüfungen grundsätzlich ab. In Sachsen zeigt sich somit ein Bild regelrechter Rechtszersplitterung.

 

Damit einher geht auch eine fehlende Rechtssicherheit für potentielle Projektierer von Windenergieanlagen. Ein zusätzliches Hemmnis für den schnellen Ausbau der Windenergie in Sachsen stellen langwierige Rechtsstreitigkeiten um die Frage dar, ob eine atypische Fallgestaltung vorliegt.

 

Es ist somit geboten, ausdrücklich gesetzlich zu regeln, dass eine atypische Fallgestaltung gerade keine Voraussetzung für die Zulassung einer Abweichung ist.

 

So handhaben es etwa die Bauordnungen Berlins und Brandenburgs. Deren jeweiliger § 6 Abs. 11 lautet:

 

„Eine Abweichung von den Abstandsflächen und Abständen kann nach § 67 zugelassen werden, wenn deren Schutzziele berücksichtigt (Brandenburg)/gewahrt (Berlin) werden. Eine atypische Grundstückssituation ist nicht erforderlich.“

 

Eine solche Regelung im sächsischen Recht könnte die bestehende Rechtsunsicherheit entschärfen. Die anderen Abweichungsvoraussetzungen bewirken regelmäßig nicht derartige Schwierigkeiten wie das Merkmal der Atypik:

 

2. Erforderlichkeit einheitlicher sächsischer Regelung

 

Der Blick in die Bauordnungen anderer Bundesländer zeigt, dass der sächsische Zustand nicht der Normalfall ist und es durchaus Möglichkeiten gibt, auf gesetzlicher Ebene eine einheitliche Lösung für Abweichungen zu finden, die die besonderen Bedürfnisse von Windenergieanlagen berücksichtigt. Für die Vereinfachung von Abweichungszulassungen spricht sich schließlich auch die bayerische oberverwaltungsgerichtliche Rechtsprechung aus. Eine gesetzliche Vereinheitlichung der Abweichung von der Abstandsflächenpflicht bei Windenergieanlagen ist angesichts der völlig unterschiedlichen sächsischen Verwaltungspraxis erforderlich, um einer, den Ausbau von Windenergie in Sachsen stark hemmenden, Rechtszersplitterung entgegenzuwirken.

 

III. Fazit

 

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass bereits gemäß dem Schutzzweck des § 6 SächsBO kein Bedürfnis für die Einhaltung weitläufiger Abstandsflächen bei Windenergieanlagen im Außenbereich besteht. Die aktuelle Abstandsflächenregelung konterkariert zudem das herausragende öffentliche Interesse am zügigen Ausbau der Windenergie in Sachsen, indem es die Errichtung von Windenergieanlagen in vielen tatsächlichen Fällen nicht erlaubt. Spätestens mit der aktuellen Entscheidung des BVerfG zum Klimaschutzgesetz

 

- BVerfG, Beschl. v. 24.03.2021 (1 BvR 2656/18) -

 

und dem inzwischen beschlossenen Energie- und Klimaschutzprogramm Sachsen 2021 steht das herausragende Interesse am zügigen Ausbau der Windenergie fest.

 

Die aktuellen Abweichungsmöglichkeiten sind auch in keinster Weise geeignet, hier Abhilfe zu schaffen. Um Hemmnisse für den Ausbau der Windenergie in Sachsen zu beseitigen ist es daher dringend notwendig, per Gesetz die Abstandsflächen bei Windenergieanlagen generell drastisch zu reduzieren. Zumindest muss aber eine klare, voraussehbare Möglichkeit zur Abweichung von Abstandsflächen im Einzelfall geschaffen werden.

 

 

Teil B:

Regelungen zum 1.000 Meter-Abstand bei Windenergieanlagen nach den vorgeschlagenen § 84

 

Festzuhalten ist zunächst, dass von Bundesebene aus den Ländern die Möglichkeit gegeben wird, einen Mindestabstand von bis zu 1.000 Metern zwischen Windenergieanlagen und Wohngebäuden in ihre Landesgesetze aufzunehmen. Es handelt sich somit um einen Maximalwert, den die Bundesländer nicht ausschöpfen müssen.

 

Wir begrüßen die im EKP 2021 vereinbarten Zielgrößen für die Erneuerbaren Energien,  stellen jedoch fest, dass die bei einer vollen Ausschöpfung der 1.000 Meter-Regelung für die Windenergie die für den Klimaschutz notwendigen Ausbauziele nicht erreicht werden können. Besonders wichtig ist darum eine klare Definition der jetzigen Regelungen im Außenbereich.

 

  1. Keine Akzeptanzsteigerung

 

Die 1.000 Meter-Regelung wird vor allem mit einer Steigerung der Akzeptanz vor Ort begründet. Für eine solche Akzeptanzsteigerung gibt es aber keine verifizierbaren Belege. Eine Studie der Umweltpsychologen Hübner und Pohl[1] kommt zu dem Schluss, dass sich kein signifikant bedeutsamer Zusammenhang zwischen dem Abstand zur Wohnbebauung und der Akzeptanz für Windenergieanlagen (WEA) empirisch belegen lässt.

 

Eine Akzeptanz von WEA ist vor allem gegeben,  wenn bestehende  immissionsschutzrechtliche Vorgaben dazu führen, dass die hörbaren und visuellen Einschränkungen begrenzt werden. Diese Anforderungen werden anlagenspezifisch geprüft.[2]

 

Auf Grundlage der Vorgaben aus dem Immissionschutzrecht ergeben sich je nach Anlagengröße und – dimension die Abstände zur Wohnbebauung nahezu automatisch, da für die Errichtung von WEA v.a. auch wirtschaftliche und technische Aspekte eine große Rolle spielen. Auch die Frage der optischen Dominanz von Windenergieanlagen wird in den immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren selbstverständlich überprüft. Daher sehen wir durch die Regelungen im BImSchG ausreichende Prüfungen der Standorte in Bezug auf die Abstände zur Wohnbebauung und damit dem Schutz und der Akzeptanz durch die Bevölkerung. Die Fixierung von 1.000 Meter Abstand ist daher ist aus unserer Sicht nicht zielführend und sollte sich an den Ausbauzielen und unserer gesamtgesellschaftlichen Aufgabe für den Klimaschutz orientieren.

 

So hat auch das OVG Münster jüngst entschieden, dass eine Abstandsregelung zur Wohnnutzung allein „politische Willensbekundung“ ist und „planungsrechtlich vernachlässigbar.“

 

Insbesondere ist gerade die Fixierung von 1.000 Meter Abstand mit der Zielsetzung “Akzeptanzerhöhung” wohl kaum anhand einer bestimmten Meterzahl greifbar oder fachwissenschaftlich belegt.

 

  1. Erreichen der Ausbauziele

Wenn es zur etwaigen Aufnahme einer 1.000 Meter-Regelung in die Sächsische Bauordnung dennoch kommen sollte und gleichzeitig die sonstigen Tabu-Kriterien auf der Ebene der Raumordnung unverändert blieben, wird mit den noch verbleibenden Flächen ein Erreichen der Ausbauziele nicht möglich sein. So hat auch das Umweltbundesamt wiederholt darauf hingewiesen, dass bei Umsetzung einer 1.000 Meter-Regelung zwischen 20% und 50% möglicher Flächen wegfallen[3].

 

  1. Folge

Sollte tatsächlich ein 1.000 Meter Abstand zur Wohnbebauung verbindlich in der neuen Sächsischen Bauordnung festgelegt werden, hätte dies fatale Folgen insbesondere auch für die Steuerung der Windenergienutzung in den Regionalplänen:

 

  • Bei der 1.000 Meter-Regelung muss davon ausgegangen werden, dass eine große Anzahl an Flächen in Gänze wegfallen, so insbesondere in der Planungsregion Chemnitz und Oberes Elbtal/Osterzgebirge. Ein Großteil der bislang ausgewiesen oder im Entwurf des Regionalplans vorgesehenen Vorrang- und Eignungsgebiete unterschreiten den 1.000 Meter-Abstand. Damit würden diese Flächen nicht nur verkleinert, sondern würde in vielen Fällen komplett entfallen.
  • Die Steuerungswirkung der Regionalplanung insgesamt würde gefährdet, weil es ihr nahezu unmöglich wird mit den bisherigen Planungskriterien der Windenergie substanziell Raum zu verschaffen.
  • Faktisch wird ein Zubau an Windenergie nur sehr eingeschränkt  sein.
  • Repowering bestehender WEA als tragende Säule der sächsischen Ausbauziele wird in vielen Fällen aufgrund der 1.000 Meter-Regelung nicht möglich sein - auch dies gefährdet die Ausbau- und Klimaschutzziele.  Dabei sind doch gerade Bestandwindparks oftmals Vorort akzeptiert – ein Repowering also möglich.
    1. Szenarien

      In diesem Zusammenhang müssen verschiedene Szenarien in Bezug zu den Abständen zur Wohnbebauung betrachtet werden.  Das BauGB sieht hierzu verschiedene Klassifikationen von Wohnbebauungen vor.  Sollte die Sächsische Staatsregierung an einer 1.000 Meter-Abstandsregelung festhalten, kämen hier nur allgemeine und reine Wohngebiete, nicht aber Mischgebiete, Dorfgebiete und Splittersiedlungen oder Einzelgehöfte im Außenbereich nach § 35 BauGB in Frage, um der Windenergie substantiell Raum zu geben.

 

Konkret bedeutet dies, dass eine potenzielle 1.000 Meter-Regelung sich nur und ausschließlich als Mindestabstand für faktische (§ 34 BauGB) oder durch Bebauungsplan förmlich festgesetzte (§ 30 BauGB) allgemeine und reine Wohngebiete im Sinne der BauNVO erstrecken sollte, denn diese Gebiete dienen entweder ausschließlich oder überwiegend dem Wohnen.  Gerade auf den Schutz der Wohnnutzung und Wohnqualität soll die 1.000 Meter Abstandsregelung gestützt werden.

 

Demgegenüber sind Dorf- und Mischgebiete gerade nicht vordergründig durch schutzwürdige Wohnnutzung geprägt, sondern durch Gewerbe- und landwirtschaftliche Nutzung sowie sonstige Nutzungen. Das Wohnen steht hier nicht im Vordergrund. Daher ist jedenfalls für diese Gebiete der weitreichende Abstand von 1.000 Meter nicht gerechtfertigt. Das Gleiche gilt natürlich erst Recht für Splittersiedlungen und Einzelgehöfte im Außenbereich, also außerhalb geschlossener Ortschaften. Diese werden durch die außenbereichstypischen Nutzungen geprägt. Eine solche Differenzierung war im Gesetzentwurf des Bundes zum BauGB vom Dezember 2019 bereits angelegt und ist aus Sicht der VEE Sachsen e.V. zwingend erforderlich.

 

Der Mindestabstand von 1.000 Metern sollte darum nur für baurechtlich und in den jeweiligen Ortssatzungen festgelegten reinen und allgemeinen Wohngebieten gelten. Ausgenommen sind hierbei Mischgebiete, Gewerbegebiete, Industriegebiete, Dorfgebiete, Splittersiedlungen oder Einzelgehöfte.

 

    1. Opt-out-Regel für Kommunen

 

Kommunen muss die Möglichkeit eröffnet werden im Wege einer Opt-out-Regelung  über ihre Bauleitplanung  den 1.000 Meter-Abstand zu unterschreiten.

 

In Kommunen mit bestehenden Windparks ist die Akzeptanz in einer Vielzahl der Fälle aufgrund der positiven Erfahrungen gegeben.

 

    1. Planungshinweise zu weichen Tabu-Kriterien

 

Wie eingangs erwähnt sind die angestrebten Ausbauziele mit einer 1.000 Meter Regelung nicht zu erreichen. Dies insbesondere, wenn sonstige Regelungen bestehen bleiben. Wenn an der angedachten 1.000 Meter-Regelung festgehalten wird, dann sind zumindest die von den Regionalen Planungsverbänden angewandten weichen Tabukriterien zu hinterfragen. Zur Rechtssicherheit in allen Planungsregionen sollte dazu vom Mittel der Planungshinweise Gebrauch gemacht werden. Ohne eine deutliche Minimierung der weichen Tabukriterien wird es faktisch keinen Zubau von WEA in Sachsen geben, sondern im Gegenteil einen realen Rückgang an installierter Leistung.

 

Durch die 1.000 Meter-Regelung werden die möglichen Flächen deutlich verkleinert. Daher sieht die VEE Sachsen e.V. beispielhaft dringenden Anpassungsbedarf bei folgenden Flächenkriterien:

 

  • Kein pauschaler 5-km-Abstand zwischen Windgebieten
  • Bei der Errichtung von Einzelstandorten bis zu 2 Anlagen soll im Rahmen der Regionalplanungen auf das 5 km-Abstandskriterium verzichtet werden.
  • Keine Mindestflächengröße – Zulassung  von Kleinstandorten, in diesem Zusammenhang wird die Ausweisung von sog. Kleinststandorten bis zu 2 Anlagen als Kriterium der Regionalplanung angestrebt.

Die Konzentrationswirkung verlangt nicht, dass mindestens zwei Windenergieanlagen auf der ausgewiesenen Fläche errichtet werden können.

 

Moderne Anlagen mit Gesamthöhen über 200 m werden in der Lage sein, 6 bis 10 Alt-Anlagen der 1,5 MW-Generation zu ersetzen[4]. Einzelstandorte sind durch die technische Weiterentwicklung in der Lage, mit ihrer Leistung einen Windpark zu ersetzen.

 

Es sollten keine wertvollen Potentiale verschenkt werden. Bei der Berechnung sind daher alle Flächen einzubeziehen, welche  eine (!) Anlage aufnehmen können.

 

  • Wind im Wald
  • Sonstige weiche Abstands- und Tabukriterien müssen auf den Prüfstand

 

  1. Öffnungsklausel für Repowering

 

Bei Repowering sollte auf die Einhaltung eines 1.000 Meter-Abstandes  verzichtet werden.

 

Gerade bestehende WEA Standorte werden oft von den Kommunen und der Bevölkerung vor Ort akzeptiert. Eine starre 1.000 Meter- Abstandsregel würde große Repoweringpotenziale zunichte machen. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Nutzung der Repoweringpotenziale zu den politischen Kernpunkten der sächsischen Energiepolitik im Hinblick auf die Windenergienutzung gehört.  Mit einem pauschalen 1.000 Meter-Abstand würde ein großer Teil des Potentials gerade in den enger besiedelten Planungsregionen wie Chemnitz und Oberes Elbtal/Osterzgebirge entfallen.

 

  1. Keine Verwendung von Wohneinheiten als Maßeinheit – Abstellen auf nächstgelegenen Wohnbebauung im Außenbereich mit mehr als 6 Wohngebäuden

 

Der Referentenentwurf spricht in § 84 Absatz 3 von „mehr als drei Wohneinheiten“.

 

Die Verwendung von „Wohneinheiten“ als Maßeinheit ist unüblich und abzulehnen, da diese Daten in Sachsen nicht flächendeckend verfügbar sind und nicht rechtssicher erfasst werden können. Der Raumordnung und der Bauleitplanung wird sonst das Planungsinstrument zur Steuerung der Windenergie nach § 35 (3) BauGB entzogen.

 

Die im Referentenentwurf gewählte Formulierung „3. der nächstgelegenen Wohnbebauung im Außenbereich mit mehr als drei Wohneinheiten“ bringt ein hohes Maß an Rechtsunsicherheit und einen unverhältnismäßig hohen Aufwand für Projektierer und Genehmigungsbehörden mit sich. Die Ermittlung von Wohneinheiten innerhalb von Einzelgebäuden oder Gebäudegruppen im Außenbereich kann nicht auf Grundlage von Kartenwerken, wie der Allgemeinen Liegenschaftskarte ALK, erfolgen. Inwiefern eine Vorortbegehung Informationen über den Bestand von dauerhaften genutzten Wohneinheiten liefert, ist fraglich. Es ist zwingend erforderlich, auf den in § 84 Absatz 2 Nr. 1 und 2 gewählten Begriff „nächstgelegenes Wohngebäude“ abzustellen, um Rechtsicherheit zu schaffen.

 

Durch die Aufnahme der neuen Tatbestandsvoraussetzung für den Außenbereich “Außenbereichssatzung und mindestens 6 Wohngebäude” wird darüber hinaus der verfassungsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz nach Art. 3 GG erfüllt. Danach dürfen gleiche Sachverhalte nicht ungleich und ungleiche Sachverhalte nicht gleich behandelt werden. Der Geltungsbereich im Außenbereich im Zusammenhang mit drei Wohneinheiten ist aber ungleich zu einem Allgemeinen Wohngebiet oder auch Mischgebiet, zu denen auch ein 1.000 m Abstand einzuhalten wäre. Die beiden Gebiete befinden sich einerseits im Innenbereich, zum anderen ist dort die Wohnnutzung regelmäßig umfangreicher und allgemein zulässig. Der Außenbereich ist in erster Linie  nur ausnahmsweise für die Wohnnutzung bestimmt. Daher sollte die Wohnbebauung im Außenbereich aus mindestens 6 im Zusammenhang befindlichen  Wohngebäuden bestehen, damit die Vergleichbarkeit der von der Abstandsregel betroffenen Gebiete hergestellt ist.

 

Aus einer Studie des Umweltbundesamtes (März 2019) über Auswirkungen von Mindestabständen zwischen Windenergieanlagen und Siedlungen geht hervor, dass sich die verbleibende Flächenkulisse bei Festsetzung eines pauschalen Siedlungsabstandes von 1.000 Metern zu Wohngebäuden im Innenbereich um durchschnittlich 22% gegenüber keiner Abstandsvorgabe verringert. Wird dieser Abstand auch zu Einzelgebäuden und Splittersiedlungen im Außenbereich angewandt, verringert sich die verbleibende Flächenkulisse um weitere 27%. Das würde den Ausbau der Windenergie in Sachsen erheblich behindern. Eine differenzierte Betrachtung der Außenbereichsbebauung ist daher notwendig, um der Windenergie substanziell Raum einzuräumen.

 

Die vorgesehene Aufhebung der Privilegierung von Windenergieanlagen im Sinne des § 35 Absatz 1 Nummer 5 des Baugesetzbuches bei Nichteinhaltung eines Mindestabstandes von 1.000 Metern schließt gemäß § 84 Absatz 2 Nr. 1 und 2 solche Wohngebäude in Baugebieten aus, in denen Wohngebäude nur ausnahmsweise zulässig sind. Warum eine geringfügige Wohnnutzung im Außenbereich, ggf. innerhalb nur eines Gebäudes, die Privilegierung der Windenergie aufhebt, ist nicht nachvollziehbar. Wohngebäude im Außenbereich sind grundsätzlich nur ausnahmsweise zulässig.

 

Der Mindestabstand für Wohnbebauungen im Außenbereich darf nur für Gebäudegruppen im Bebauungszusammenhang mit einigem städtebaulichen Gewicht gelten. Dabei soll sich die Festlegung einer Gebäudeanzahl einerseits an den Kriterien für die Aufstellung einer Außenbereichssatzung gemäß § 35 Absatz 6 (Wohnbebauung von einigem Gewicht) orientieren. Artikel 82 Absatz 1 der Bayerischen Bauordnung enthält zum Beispiel diese Regelung. Andererseits sollte der Bebauungszusammenhang noch nicht die Qualität eines Ortsteils im Sinne des § 34 BauGB besitzen. Die im Referentenentwurf angesetzte Zahl von 3 Wohneinheiten ist dafür nicht geeignet. Die Rechtsprechung hat sich mehrfach mit diesem Thema auseinander gesetzt und kommt zu dem Schluss, dass eine Ansammlung von nur 4 Wohngebäuden regelmäßig nicht das für eine eigenständige Siedlungsstruktur erforderliche Gewicht besitzt (BVerwG Beschluss vom 19.04.1994 4 B 77/94). Dagegen ist es nicht generell ausgeschlossen, dass schon 6 Wohngebäude das für einen Ortsteil erforderliche Gewicht besitzen (BVerwG Urteil vom 30.06.1969 IV C 63.68).

 

  1. Einfügen eines § 84 Absatz 3 – Abstandsreduzierung auf 850 Meter

 

Im Eckpunktepapier der Bundesregierung zum Klimaschutzprogramm 2030 wurde beschlossen, den Kommunen die unbefristete Möglichkeit zur Festlegung von geringeren Mindestabständen als 1.000 Meter einzuräumen. Der Referentenentwurf zur Änderung der Sächsischen Bauordnung bietet diese Möglichkeit nicht an. Da es sich beim Mindestabstand um eine akzeptanzsteigernde Maßnahme handeln soll, muss Kommunen, in denen Akzeptanz für die Unterschreitung des Abstandes von 1.000 Metern vorhanden ist, im Rahmen der Aufstellung von Bauleitplänen die Planungshoheit der Gemeinde ermöglicht werden. Die Aufstellung von Bauleitplänen erfolgt unter Beteiligung der Öffentlichkeit und ist auf die Zustimmung der Gemeindevertretung angewiesen.

 

Der neue Artikel 16b BImSchG soll Repoweringvorhaben vereinfachen, vorausgesetzt, die Auswirkungen auf die Schutzgüter sind nach der Modernisierung geringer als beim zurückgebauten Anlagenbestand. Werden die Kriterien des § 16b BImSchG erfüllt, ist die Unterschreitung des Mindestabstandes von 1.000 Meter unschädlich.

 

Die Festsetzung auf einen geringeren Mindestabstand von 850 Meter zielt auf die Erhaltung eines signifikanten Repoweringpotentials in Sachsen ab und bietet einen hohen immissionsschutzrechtlichen Schutzstandard. Eine bedrohliche Wirkung auf die Bewohner angrenzender Siedlungen kann ab einer Entfernung, die der dreifachen Anlagenhöhe entspricht, sicher ausgeschlossen werden.

 

 

Teil C

Übergangsregelung

 

Auf Bundesebene wurde im Rahmen der Diskussion zu den Abstandsregeln von 1.000 m zur Wohnbebauung auch eine Übergangsvorschrift diskutiert, die bereits laufende Genehmigungsverfahren von der neu einzuführenden Abstandsregel ausschließen sollte. In den im Juni 2020 verabschiedeten Gesetz (kleine EEG Novelle) wurde ein solcher Verfahrensschutz nicht mehr aufgenommen. Der Bundesgesetzgeber hat die Ausführungen des Abstandsgebotes von 1.000 m im Rahmen der Länderöffnungsklausel auf Länderebene delegiert.

 

Das Land Sachsen ist nun für die Ausgestaltung der inhaltlichen Themen wie z.B. der Definition zur Wohnbebauung und der Übergangsvorschrift für laufende Genehmigungsverfahren verantwortlich. Der VEE Sachsen e.V. regt daher dringend an, einen Verfahrensschutz für laufende Genehmigungsverfahren von Windenergieprojekten gesetzlich zu etablieren, damit der so zwingend wichtige Ausbau der Windenergie in Sachsen nicht noch weiter verhindert wird und bereits seit langem geplante Projekte zeitnah umgesetzt werden können. 

 

Die Gesetzgebung sieht vor, dass die Landesbaugesetze der einzelnen Bundesländer die Regelungen zum Abstand von Wohnbebauung zu Windenergieanlagen gezielt regeln und auf die jeweiligen Landesspezifika anpassen. In Sachsen wurde sich bereits im Koalitionsvertrag auf einen Abstand von 1.000 m zur Wohnbebauung festgelegt, allerdings ergibt sich hier auch Gestaltungsspielraum, der notwendig ist, um die gesteckten Ziele zu erreichen. Hierbei spielt neben der Festlegung zu Abständen bei Einzelgehöften und Splittersiedlungen auch die Verankerung einer Übergangsvorschrift eine sehr wichtige Rolle.

 

Wir schlagen daher für die Novellierung der Sächsischen Bauordnung folgende Regelung vor:

 

“Laufende Genehmigungsverfahren (beantragte Genehmigungsverfahren) sind von Neuregelungen zur 1.000-Meter-Abstandsregel nicht betroffen und genießen Verfahrensschutz.”

 

 

Teil D

Schluss

 

Im Übrigen verweisen wir nochmals vollumfänglich auf unsere bereits abgegebenen Stellungnahmen zur Novellierung der Sächsischen Bauordnung vom 29.05.2020 und 13.08.2020.

 

Sollen einzelne Ausführungen einer weitere Erläuterung bzw. Begründung bedürfen, stehen wir auch fern für ein persönliches Sachgespräch zur Verfügung.

 

Mit freundlichen Grüßen

 

Andreas W. Poldrack
Geschäftsstellenleiter

 

[1] Mehr Abstand – mehr Akzeptanz? Ein umweltpsychologischer Studienvergleich, Fachagentur Windenergie an Land, https://www.fachagentur-windenergie.de/services/veroeffentlichungen/studie-titel/mehr-abstand-mehr-akzeptanz.html

[2] Strikte Mindestabstände bremsen den Ausbau der Windenergie, DIW Wochenbericht 48/2019, https://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.698970.de/19-48-4.pdf

[3] Mindestabstände bei Windenergieanlagen schaden der Energiewende, https://www.umweltbundesamt.de/themen/mindestabstaende-bei-windenergieanlagen-schaden-der

[4] Größtes Windrad der Welt steht in Bremerhaven, NDR; https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/oldenburg_ostfriesland/Groesstes-Windrad-der-Welt-steht-in-Bremerhaven,rekordwindrad100.html